Stressen Sie sich!

Stress am Arbeitsplatz, Stress zu Hause, Stress in der Freizeit. Und nun komme ich und sage, Sie sollen sich noch mehr stressen. Ja, ich gehe sogar noch weiter: Treiben Sie sich an! Verlangen Sie von sich selbst Höchstleistungen! Rütteln Sie Ihren Schweinehund wach und verlassen Sie die Zone der Bequemlichkeit! Denn auch wenn es vielleicht unlogisch klingt,  positiver Stress, den Sie selbst initiieren,  ist genau das, was Ihnen hilft, stärker zu werden und sich gegen negativen Stress, der von Außen kommt, zu wappnen.

Hand aufs Herz – wann hatten Sie das letzte Mal einen Moment, bei dem Sie im wahrsten Sinne des Wortes über sich selbst hinausgewachsen sind? Einen Punkt, an dem Sie eine, mit dem eigenen Denken gezogene oder von anderen gesetzte Grenze, überschritten haben?
Selbst wenn es länger her ist – ich lade Sie ein, sich für einen Augenblick an die Gefühle zu erinnern, die Sie vor der Herausforderung und danach hatten. Sicher waren Sie aufgeregt, das Herz hat geschlagen, Sie mussten sich überwinden, hatten vielleicht sogar Angst. Alles zusammen Stress-Symptome. Und anschließend? Wie haben Sie sich erlebt, nachdem Sie Neuland betreten, Ihr Potential erweitert, Ihren Schweinehund überrumpelt haben? Wahrscheinlich waren Sie glücklich, oder? Haben sich gestärkt gefühlt und vermutlich Ihren Sieg in irgendeiner Form gewürdigt.

Herausforderungen und Entspannung – zwei Gegenpole, die uns, im richtigen Maße dosiert, nicht nur auf der körperlichen Ebene stärken, sondern auch mental wachsen lassen. Wer sich vor Stress schützen will, der sollte ihn keinesfalls vermeiden, sondern darauf achten, dass die Balance zwischen Anspannung und Entspannung stimmt.
Stress an sich ist nicht negativ. Er wird es erst dann, wenn wir ihm keine echte Erholung entgegensetzen und wenn wir zulassen, dass er als reines Reaktionsmuster auftaucht. Überprüfen Sie das und Sie werden mir zustimmen, dass es selten die Aktionen sind, die nachhaltig stressen, sondern vielmehr die Reaktionen auf irgendetwas. Zum Beispiel das jahrelange Abarbeiten einer Tätigkeit, die Ihnen keine Freude bereitet oder die Reaktion auf einen „Angriff“ von Außen – es sei denn, Sie können dabei zu Höchstform auflaufen, weil Sie in Ihrem Element sind.

Ich glaube, ein Problem unserer Zeit und eine Ursache für unser allgemeines „Gestresstsein“ liegt darin, dass wir selten bis nie wirklich vom Herzen – mit Leib und Seele voll und ganz engagiert und bei der Sache sind. Weder während einer Leistung noch in der Freizeit. Das soll keine Beurteilung oder Wertung sein, sondern vielleicht eher ein Anstoß, den Moment zu nutzen und sich hier, jetzt in diesem Augenblick zu fragen, mit wie viel Prozent Ihrer Energie sind Sie dabei? Denken Sie parallel schon an etwas anderes oder erledigen drei Sachen gleichzeitig?

Mein Sohn ist Sportler. Neulich wollte ich ihn dazu überreden, mit mir etwas zu unternehmen. Ich bekam eine Absage mit der Begründung, dass er sich entspannen müsste, weil er am Tag zuvor ein hartes Leistungstraining absolviert hatte. „Du weißt doch Mama – Hyperkompensation!“ Ja, ich weiß und genau diesen Effekt sollten Sie sich auch zunutze machen. Durch eine echte Herausforderung (egal ob körperlich oder mental) wird ein Stressreiz gesetzt, auf den der Körper genau auf diesem Niveau reagiert. Gehen Sie ein bisschen über Ihre Grenze, geht der Körper mit und steigert seine Leistung. Sie wachsen über sich hinaus. Danach erholen Sie sich – allerdings nicht zu lange, sonst verpufft der Effekt. Setzen Sie wieder einen Reiz, der ruhig ein kleines bisschen kräftiger als der davor sein darf. Und schon erhalten Sie eine ansteigende Leistungskurve. Das geht natürlich nicht sofort und auch nicht bis ins Unendliche, aber jeder, der schon einmal ein Lauftraining über einen längeren Zeitraum absolviert hat, kennt diesen Anpassungsprozess.

Ihr Körper braucht Herausforderungen. Wir sind nicht dafür gemacht, in Komfort- und Couchzonen dahinzudümpeln und geistig zu verblöden – um es mal drastisch auszudrücken. Nichts in der Natur ist auf Stillstand ausgelegt. „Wer rastet, der rostet!“ ist keine Binsenweisheit sondern eine Tatsache. Wussten Sie, dass Sie bereits ab dem 30. Lebensjahr pro Jahr etwa ein Prozent Ihrer Muskelmasse verlieren, die koordinativen Fähigkeiten ab dem 25. Lebensjahr abnehmen, ebenso die Beweglichkeit und die Fähigkeit des Herzens Ihren Körper mit Blut zu versorgen? Kein Wunder also, dass – wenn wir nichts tun – auch die Fähigkeit, auf Stress zu reagieren, stagniert oder abnimmt. Gleiches gilt übrigens auch für unseren Geist, der ebenso unbeweglich wird, wenn wir ihn nicht fordern.
Darum: Stressen Sie sich ruhig mal wieder mit einer neuen Herausforderung! Vielleicht ja mit der Verwirklichung einer Selbstständigkeit, die Ihnen schon lange im Kopf herumgeistert!