Die Zahlen sind auf den ersten Blick alamierend. Wurden – statistisch betrachtet – im Jahr 2004 lediglich 4,6 Beschäftige von 1000 wegen eines diagnostizierten Burnout-Syndroms krankgeschrieben, so waren es im Jahr 2010 bereits 63,2 – Tendenz steigend. (Quelle BKK-Bundesverband) Da plötzlich aus einem einst belächelten Hypochondersyndrom nun offensichtlich ein die Wirtschaftskraft schwächender Faktor geworden ist, hat nunmehr die emsige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen dem Burnout in deutschen Unternehmen den Kampf angesagt. Und weil das Thema offensichtlich brennt, versicherte von der Leyen in einem Interview mit „Welt Online“, dass dieses Thema ganz oben auf der Prioritätenliste steht. „Das ist für mich eines der großen Ziele im Arbeitsschutz“, so der Wortlaut.
Und weiter bekräftigt sie: „Wir sind in den letzten Jahrzehnten weit vorangekommen, um schwere körperliche Schäden durch Arbeit, etwa durch Fließbandarbeit, deutlich zu reduzieren. Das können wir bei den psychischen Belastungen auch schaffen.“
Ich habe da meine Zweifel, denn anders als bei Krankschreibungen oder Frühberentung wegen körperlicher Schäden, wird Burnout stets durch einen ganz individuellen Mix an Ursachen ausgelöst. Da reicht es nicht, den Schreibtisch ans Fenster zu rücken, den feinstaubenden Kopierer aus dem Raum zu entfernen, oder einen rückengerechten Stuhl an den Arbeitsplatz zu stellen. Da sind zum einen individuelle Konzepte gefragt, zum anderen wäre es an der Zeit, dass die Gesellschaft ihre Werte und Normen überprüft, denn die rasante Steigerung der Burnout-Fälle ist letztendlich auch ein Spiegel für die rasante Entwicklung des vielgelobten Fortschritts der letzten Jahre, dem wir schlichtweg an vielen Stellen nicht gewachsen sind.
Nehmen wir beispielsweise die Fähigkeit des „Theory of Mind“, die wir im Normalfall im Alter von ungefähr vier Jahren entwickeln. Durch sie sind wir in der Lage, empathisch zu sein. Gefühle und Denkweisen von anderen Menschen einzuorden und dementsprechend zu handeln – ein Grundbaustein sozialen Miteinanders. Diese Fähigkeit beschränkt sich bei jedem Einzelnen allerdings auf den Kontakt mit maximal 150 Personen. Alles, was darüber hinaus geht, überfordert unser Gehirn. Die Folge – wir schalten ab. Und das im wahrsten Sinne des Wortes mit allen Konsequenzen für unser Miteinander.
Und das ist nur ein Wirkmechanismus von vielen.
Hinzu kommen die Frage nach dem Sinn einer Tätigkeit, Perfektionsansprüche, überholtes Sicherheitsdenken, die Angst davor, auch mal Nein zu sagen, steigende Leistungsanforderungen, ständige Erreichbarkeit und und und.
Allein das zeigt schon, dass das Vorhaben von Ursula von der Leyen sicher zunächst lobenswert ist. Wie wirksam es am Ende sein wird, ist davon abhängig, an welchen Punkten das Programm ansetzen wird. Schließlich kann der Staat vieles regeln und per Gesetz normen. Doch Burnout ist und bleibt ein ganz individuelles Krankheitsbild, das – meist mit Hilfe von Außen – am Ende nur vom Betroffenen selbst überwunden werden kann, geht es doch um seinen Standpunkt innerhalb und um seinen Umgang mit der Umwelt und dem Umfeld.
Da wäre jeder von uns gefragt, das Hamsterrad doch mal anzuhalten und den Sinn der permanenten Bewegung zu hinterfragen.