Selbstständig = selbst und ständig? Natürlich ist an der Formel etwas dran. Natürlich fordert das eigene Unternehmen uns mehr heraus, verlangt uns mehr ab, als ein nine-to-five Job. Gerade deshalb ist es so wichtig, auf sich zu achten, um nicht die Balance zu verlieren. Wie das gelingt? Durch Achtsamkeit.
Neulich wollte ich eine Unternehmerin interviewen. Ich schrieb ihr eine E-Mail und bekam innerhalb von einer Minute die Antwort, dass sie keine Zeit hätte, weil sie rund 70 Stunden in der Woche arbeiten würde. Ein anderer Unternehmer, mit dem ich via Facebook bekannt bin, schreibt stets am Wochenende, dass er das schöne Wetter nicht genießen kann, weil er im Büro sitzt und arbeitet. Die Liste ließe sich fortsetzen und so komme ich zu dem gefühlten Schluss, dass Selbstständige deutlich mehr arbeiten, als Angestellte. Für viele ist es ein Traum, mal wieder die Tür hinter sich schließen zu können, ohne an die Arbeit zu denken. Endlich mal wieder in den Urlaub zu fahren, sich Zeit für etwas Persönliches zu nehmen oder einfach ganz simpel, mal das Handy auszuschalten.
Säulen der Balance
Jeder der so arbeitet, weiß, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann. Unser Menschsein steht auf verschiedenen Säulen, die ausbalanciert sein sollten, sonst bricht unser Haus irgendwann zusammen. Sei es familiär, gesundheitlich oder am Ende in dem uns der Sinn von dem, was wir tun, verloren geht. Die Folge ist nicht selten ein Burnout.
Mein subjektives Empfinden stimmt übrigens. Laut einer Befragung kommen Selbstständige auf eine Wochenarbeitszeit von 50,4 Stunden. Die Wochenstundenzahl eines Arbeitnehmers liegt durchschnittlich bei ca. 40,7 Stunden. Eine Differenz von rund zehn Stunden, mehr als ein Arbeitstag. Spannend ist, dass es auch bei den Selbstständigen wie bei den Angestellten einen Unterschied zwischen den Generationen gibt. Dass die, die nach 1985 geboren sind, deutlich höheren Wert darauf legen, sich nicht „kaputt zu schuften“, sondern sich genügend Zeit für die Familie oder das Hobby zu sichern. Klappt das nicht, gehen sie lieber andere Wege, geben die Selbstständigkeit auf, oder delegieren mehr.
Achtsamkeit als Schlüssel
Grundsätzlich wird es in jedem Unternehmen Phasen geben, in denen deutlich mehr zu tun ist und das Arbeitspensum das Normalmaß übersteigt. Besteht das Arbeitsleben allerdings nur aus solchen Phasen, ist Vorsicht geboten. Meist kommen die ersten Hinweise von Freunden oder aus der Familie. „Du arbeitest zu viel!“, so ungern man diesen Satz sicher hört, man sollte ihn ernst nehmen und hinterfragen. Und sich dann eine Woche lang achtsam beobachten, wohin denn die Zeit fließt. Am besten trägt man die Zeiten in ein kleines Notizbuch ein. Nur so hat man die Möglichkeit, bei jeder einzelnen Tätigkeit zu hinterfragen, ob man sie anders, also zeitsparender gestalten kann. Sei es durch Delegieren, Umstrukturieren oder Outsourcen.
Achtsamkeit kann auch zwischendurch Energie geben. Allein, sich ein paar Minuten auf nichts anderes als auf den eigenen Atem zu konzentrieren und tief in den Bauch hinein zu atmen, löst Verspannungen und gibt Energie. Aufmerksamkeit kann also in zwei Richtungen laufen – durch sie ist es möglich, sich aus dem Hamsterrad herauszunehmen und sie hilft, Energielöcher mit neuer Energie zu füllen. Wer achtsam ist, identifiziert negativen Stress schneller als solchen und steuert dagegen. Das tut nicht nur uns Gründer*innen gut, sondern vor allem dem Unternehmen. Schließlich ist ein gestresster Mensch weder kreativ noch besonders leistungsfähig. Und noch etwas anderes kommt hinzu.
Mit Achtsamkeit zu einem erfüllten Leben
In ihrem sehr lesenswerten Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ schreibt Bronnie Ware, dass an Punkt zwei der Versäumnisse, die sterbende Menschen beklagen, steht: „Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet!“. Natürlich kann Arbeit erfüllen, Arbeit ist allerdings nur ein Teil unseres Lebens. Mehr nicht. Achtsamkeit schafft Raum für diese Erkenntnis.