Aufschieben – jeder kennt es, jeden packt es dann und wann. Darum machen wir heute kurz einen Ausflug, obwohl das Thema auf den ersten Blick mit Gründung und Unternehmertum nicht viel, auf den zweiten Blick aber jede Menge zu tun hat. Gerade jene, die allein arbeiten, ihr eigener Herr sind, haben oft damit zu kämpfen, dass sie die Priorität verschieben und Arbeiten, die wirklich wichtig wären, nicht oder zu spät erledigen.
Merkmale der Aufschieberitis
Woran Sie erkennen, ob Sie nur geschickt Ihre Zeitressourcen einteilen oder schon kräftig im Aufschiebe-Modus laufen, hat Hans-Werner Rückert, Diplompsychologe und ehemaliger Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung an der Freien Universität Berlin in seinem Buch „Schluss mit dem ewigen Aufschieben“ sinngemäß wie folgt zusammen gefasst (wobei ich noch den O-Ton ergänzt habe):
- Sie warten auf die richtige Stimmung. („Heute bin ich nicht so gut drauf.“)
- Sie verschieben Wichtiges auf den nächsten Tag. („Das hat doch morgen auch noch Zeit.“)
- Sie erledigen Sachen, die unwichtig oder nebensächlich sind. („Sollte ich nicht mal die Fenster putzen?“)
- Sie fühlen sich überfordert. („Warum bekomme immer ich die schweren Aufgaben?“)
- Sie wissen nicht, wo sie anfangen sollen. („Das ist viel zu viel! Das schaffe ich nie!“)
- Sie hoffen auf eine Lösung, die von allein oder von außen kommt. („Die Zahnschmerzen gehen sicher auch wieder weg!“)
- Sie reden sich ein, dass Sie:
– noch jede Menge Zeit haben.
– unter Druck besser arbeiten.
– einfach keine Lust haben und sich erst einmal belohnen müssen. *
Rückert befasst sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik, hielt Vorträge und coachte so manchen chronisch kranken Aufschieber, denn – auch das sei bemerkt – Aufschieben kann durchaus krankhaft sein, kann zu ernsthaften Problemen führen und an diesem Punkt ist es dann mit guten Ratschlägen nicht mehr getan. Das ist, als würde man einen Alkohol-Abhängigen bitten, weniger zu trinken und ihn freundlich darauf aufmerksam machen, dass er sich mit dem Trinken selbst schadet.
Darum gilt beim Aufschieben genau wie beim Alkohol: “ „Principiis obsta“, also „Wehret den Anfängen!“
Ursachen für Aufschieberitis
Aber wer oder was ist denn nun eigentlich dafür verantwortlich, dass wir Angelegenheiten, die nach Bearbeitung schreien, auf den nächsten Tag, die nächste Woche oder auf irgendeinen Termin in der fernen Zukunft schieben? Sind wir selbst schuld? Vielleicht noch, weil wir einfach zu faul sind, den Hintern endlich hoch zu heben und zu starten?
Ja und Nein. Natürlich sind wir allein die Verursacher der Misere, schließlich zwingt uns niemand dazu, untätig oder zögerlich zu sein. So einfach ist es dann aber wiederum doch nicht, denn die Ursachen für Aufschiebeverhalten sind vielschichtig und meist mit unserem liniear und nach dem Ursache-Wirkungs-Schema denkenden Verstand nicht so leicht zu erfassen.
Wir schieben auf, obwohl wir eigentlich wissen, dass es schlauer wäre, nicht aufzuschieben. Dass wir uns besser fühlen, wenn wir die Dinge erledigt haben und wir über all die Steine gestiegen sind, die auf dem Weg lagen.
Ursache ist der sogenannte Sekundärnutzen, den wir aus dem Aufschieben ziehen. Vergleichen Sie es mit einem Kind, das die Wohnzimmerwände mit roter Farbe bemalt, obwohl es genau weiß, dass danach die Bombe platzt. Trotzdem bekommt das Kind so Aufmerksamkeit, die es vielleicht vorher durch normales Verhalten nicht bekam. So funktioniert das mit dem Sekundärnutzen.
Aufschieben dient zum einen als Selbstschutz: man versucht Fehler zu vermeiden. Dahinter verbirgt sich die Angst vor dem Versagen und vor der Beurteilung durch Andere. Eine weitere Ursache ist die Angst vor Erfolg. So unlogische es auch klingt. Wir sind selbst oft genug die größten Erfolgsvermeider. Weil Erfolg gehalten werden will. Weil er Verantwortung nach sich zieht. Weil er uns vielleicht auch einsam macht. Bleibe ich erfolglos, ist mein Nutzen ein Leben in ruhigen Gewässern.
Aber Aufschieben hat noch weitere Ursachen: Minderwertigkeitskomplexe, Perfektionsanspruch, Scham, Abhängigkeit und Trotz, um nur einige zu nennen.
Wie vermeide ich Aufschieberitis?
Und die Lösung? Ein Trick, der mir persönlich sehr hilft, ist, mir alles, was zu tun ist, auf eine Liste zu schreiben und zunächst kurz einmal zu überprüfen, ob denn die Aufgaben überhaupt Sinn für mich machen. Wenn ich ein „Ich sollte…“ entdecke, dann hinterfrage ich das mit einem „Wieso eigentlich?“ Weil die Gesellschaft es will? Weil mein Papa dann stolz auf mich ist? Weil Tante Frieda dann ihr Portmonee öffnet?
Alles, wo am Ende nicht: „Weil ich es will.“ oder „Weil ich es aus Gründen, die mir klar und plausibel sind, muss.“ dahinter steht, fliegt von der Liste und glauben Sie mir, es bleiben trotzdem noch unangenehme Dinge drauf. Und genau da setzt der nächste Hebel an.
Erledigen Sie das, was Ihnen am meisten quer liegt, zuerst. Und wenn es noch so schrecklich ist. Brechen Sie es herunter auf den kleinsten Schritt, der Ihnen in diesem Moment möglich ist. Steht die Steuererklärung an, dann holen Sie den Ordner aus dem Regal und stellen den demonstrativ auf den Tisch. Schauen Sie ihn an und er verliert seinen Schrecken. Wunderbar, nächster Schritt. Schlagen Sie ihn auf und so weiter. Wollen Sie etwas schreiben, dann beginnen Sie mit einem Satz. Und bleiben dann sitzen. Nächster Satz, sitzen bleiben und so weiter. Ja zugegeben – manchmal ist es albern, aber es hilft. Das Wort Disziplin hat leider häufig einen bitteren Beigeschmack, zumal es in der heutigen Zeit bei dem gigantischen Ablenkungspotential immer schwieriger wird, diszipliniert zu sein. Trotzdem lohnt sich Disziplin, weil Sie am Ende triumphieren.
Und wenn nichts klappt, dann ziehen Sie die Reißleine und lassen Sie sich helfen. Ein Coach kann Ihnen zur Seite stehen, Ursachen aufdecken und mit Ihnen gemeinsam Ziele finden, die so viel Zugkraft haben, dass das Aufschieben kein Thema mehr ist.
* ( aus H.-W. Rückert „Schluss mit dem ewigen Aufschieben“ Campus Verlag 2006)