Heute freue ich mich über einen Gastbeitrag der Kommunikationsberaterin Jana Jablonski, die uns mit diesem Text nicht nur einen Einblick in ihre eigene Arbeit, sondern Hilfestellungen für die Unternehmenskommunikation in diesen herausfordernden Zeiten gibt. Jana Jablonski ist neben ihrer Tätigkeit als Kommunikationsberaterin auch Organisationsentwicklerin, seit fast 20 Jahren mit eigener Agentur, einem Familienunternehmen, das sie gemeinsam mit ihrem Bruder führt. Sie sensibilisiert Unternehmende, Führungskräfte und Teams in diesen außergewöhnlichen Zeiten für eine intensivere Kommunikation, für Vertrauen und Gelassenheit.
„Man kann nicht nicht kommunizieren.“
Schon immer wollte ich mal einen Artikel mit diesem Zitat von Paul Watzlawick beginnen.
Es gibt in diesen Tagen – episch gedacht, in diesen Zeiten – viele Herausforderungen für Unternehmen und Unternehmende.
Es gibt die bestehenden Herausforderungen aus Prä-Corona-Zeiten, denn die sind über Nacht ja nicht weg. Und fast – wie aus dem Nichts über Nacht – die neu hinzugekommenen. Über die derzeitigen Herausforderungen von Unternehmen zu schreiben, ist ein bisschen wie auf den Tagesablauf oder die Lieblingsfarbe von Menschen einzugehen – alle haben eine/n andere/n. Die Welt ist bunt und vielfältig. Und dennoch gibt es Überschneidungen, Häufungen und Cluster…, wie der Virologe heutzutage sagen würde.
Was fordert Unternehmen in diesen Zeiten besonders heraus? Sicher sind das die zentralen Fragen der Existenz- bzw. Unternehmenssicherung, der Liquidität, der Sicherung von Arbeitsplätzen sowie die Unmöglichkeit mittel- und langfristiger Planung durch die Unberechenbarkeit der Situation. Vielleicht auch ein kritisches Hinterfragen des Sinns und der eigenen Identität. Die Corona-Pandemie hat in extrem kurzer Zeit neue Risiken für Unternehmen mit sich gebracht, die nie dagewesene Maßnahmen erforderlich machen.
Eine große und wichtige Aufgabe und Herausforderung – gerade in Krisen – die auch alle genannten Bereiche tangiert ist die Bewältigung der Kommunikation. Kommunikation in alle Richtungen, nicht nur mit den Mitarbeitenden, sondern mit allen Stakeholdern.
Mit meinem kommunikativen Background habe ich ein großes Interesse, wie Kommunikation stattfindet bzw. auch deren Facetten oder ihre Abwesenheit. In dieser Situation, in der wir uns plötzlich distanzieren müssen, uralte, wichtige Rituale unserer Kultur umprogrammieren müssen, Artefakte eines allgemein anerkannten gesellschaftlichen Umgangs schlagartig gefährlich sein können, müssen wir uns neu verständigen. Auf neue – und vor allem für alle verbindliche – Rituale. Wir sind auf Abstand, räumlich getrennt, erleben uns im wahrsten Sinne des Wortes hinter einer Mattscheibe in den Videokonferenzen und haben viel miteinander zu klären. Wir brauchen Zeit für Kommunikation, Zeit zum Verstehen und zur Etablierung des Neuen. Sonst entstehen zu der bereits vorhandenen Verunsicherung zusätzlich Irritationen, Verletzungen, Ängste.
Wir können die Situation und die Umstände gerade nicht ändern, aber wir können mit einer bewussten Haltung und einer sensiblen, ehrlichen und engen Kommunikation verbinden, mildern, trösten, motivieren und erden.
Kommunikation hat viele Gesichter. Jedes Unternehmen entwickelt eine eigene Kultur der Kommunikation. Wie eine Handschrift oder ein grafischer Stil.
Als Organisationsentwicklerin, Coach und Kommunikationsberaterin habe ich das große Glück, mit unterschiedlichen Menschen und sehr verschiedenen Unternehmen und Systemen arbeiten zu dürfen und Einblicke auch in sensible Bereiche, Strukturen und Zusammenhänge zu bekommen. Diese Unterschiedlichkeit befruchtet meine Arbeit in vielen Dimensionen. Es tauchen dadurch immer wieder Fragen nach dem „Warum“ auf und ich bin gefordert, diesen Fragen nachzugehen, Hypothesen aufzustellen, diese zu diskutieren, zu reflektieren und zu verwerfen.
Ein kleiner Exkurs. Kommunikation ist eine Herausforderung. Unternehmen waren von jeher Orte, in denen viele Herausforderungen auftraten – aber auch gelöst wurden.Aber warum ist das so? Wird auch die Herausforderung der Kommunikation gelöst? Welche Kraft steckt dahinter?
Die Motivation, Herausforderungen anzunehmen, war ganz unterschiedlich. Unternehmen (als Gruppe von Menschen) wollen erfolgreich sein, oft weil Unternehmende (als Visionäre) erfolgreich sein wollen, weil die Kultur im Unternehmen es vorsah oder weil es einfach in der DNA verankert ist. Deshalb werden Herausforderungen angenommen, Probleme gelöst, Ideen entwickelt, Krisen bewältigt, Unmögliches möglich gemacht. Mit dieser Stärke kann man arbeiten. Wenn man sie kennt und mehr darüber weiß.
Stellt man Google die Frage: „Was macht Unternehmen erfolgreich?“ bekommt man hunderte Einträge – stellt man die Frage: „Warum wollen Unternehmen erfolgreich sein?“ keine einzige. Google wirkt überfragt und streicht wahlweise das Wort „warum“ oder „wollen“ und bietet stattdessen die üblichen 10 Erfolgsfaktoren an.
Fragt man den großen Riesen: „erfolgreich durch Kommunikation“ bekommt man knapp 70.000 Einträge. Kommunikation scheint relevant zu sein.
Klar müssten wir jetzt noch definieren oder uns einigen, wer oder was erfolgreich ist. Erfolg ist für jeden Menschen und jedes Unternehmen nicht dasselbe. Die Vorstellungen gehen weit auseinander, werden oft durch die Werte und (Unternehmens-) Kultur bestimmt.
Bis vor wenigen Wochen waren in meiner Wahrnehmung und Arbeitsrealität die Herausforderungen der Unternehmen folgende:
- Fachkräftemangel („Es wird eng, aber dann müssen die Kolleg*innen eben im Zweifel auch Überstunden machen.“),
- Digitalisierung („Keine Zeit, und was ist das eigentlich? Bringt das wirklich was? Läuft ja eigentlich auch so.“),
- Schnelles Wachstum und die üblichen Wachstumsschmerzen (Höher, schneller, weiter und je schneller, desto besser; Unzufriedenheit? Welche Unzufriedenheit!),
- Unternehmens-Kultur („Lass die mal ein Leitbild entwickeln, dann haben sie was sie wollen. Wie, es gibt Diskrepanzen zwischen unseren Werten und den Entscheidungen des CEO? Welche Werte?“)
- Transparenz („Was richtig ist, entscheide immer noch ich! Wer will das wissen, warum?“)
- Führung bzw. Nichtführung (Wer führt eigentlich die vielen neuen Kolleg*innen? Wieso ich? Wieso wollen die alle immer irgendwas?…)
- Strategische Planungen operativ umsetzen („Tolle Ideen, aber ich hab schon so viel auf dem Tisch und keine Zeit, ist auch nicht meine Zuständigkeit.“)
- Globalisierung („…nervig, warum muss es verschiedene Sprachen und Zeitzonen geben.“)
- und letztlich auch wichtige Fragen und Details wie die Benennung der neuen Großraumbüros, die Auswahl der Pflanzen oder die Müslizusammensetzung an der Frühstücksbar…
Bereits vor sechs Wochen waren Unternehmen mit viel mehr beschäftigt als „nur“ mit ihrer Unternehmung. Die VUCA-World schielte immer mal um die Ecke und schwenkte ihr blinkendes Fähnchen aus Agilität und Einhornstaub.
Bis vor sechs Wochen hatten alle keine Zeit, waren busy, ständig unterwegs, beschäftigt mit einem oder mehreren Projekten, permanent am Optimieren und kein Ende in Sicht. Nicht unzufrieden, aber irgendwie auch nie richtig happy.
Was hat nun dieses Virus, von dem wir nicht sicher wissen, wo es wirklich her kommt, wie gefährlich es tatsächlich ist, wie viele Firmen, Schicksale, Lebenswerke es auf dem Gewissen hat und wie lange es uns begleiten wird, mit den Unternehmen gemacht? Welche neuen Herausforderungengibt es in Zeiten, in denen man sich nicht treffen kann, im Homeoffice arbeitet, verstreut an verschiedenen Orten, nicht wie üblich über die Schulter schauen und gemeinsam vor einem Bildschirm oder Produkt hocken kann? Die Energie nicht wie gewohnt fließen kann und ein „gemeinsam“ und „zusammen“ neu definiert werden muss? Wohin auch mit all der Liebe und Zuneigung, mit dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Emotionalität?
Ist die vorhin benannte Kraft von Unternehmen und Unternehmenden jetzt immer noch da? Die Kraft, die für Innovationen sorgt, sich als Resilienz zeigt und lange für Erfolge mitverantwortlich war? Und sind auch die alten Herausforderungen noch da oder gegen neue ausgetauscht?
Ja und nein. Kommt drauf an. Aber worauf? Alle Unternehmen sind in irgendeiner Art und Weise von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Die Bandbreite der Folgen ist groß. Von Insolvenz, vorübergehender Schließung bis hin zu Expansion ist alles dabei. Was sich in jedem Fall überall und bei allen Unternehmen in meiner Beobachtung geändert hat, ist die Kommunikation. Und hier liegt auch die Chance.
Laut Niklas Luhmann funktioniert Kommunikation aus der Einheit aus Mitteilung, Information und Verstehen. Diese drei Aspekte bestimmen den Kommunikationsprozess. Hinzu kommt, dass die Operation Kommunikation drei Merkmale aufweist: Anschluss, Auswahl und Fehlerkorrektur. Auf unsere heutige Situation bezogen, macht es Sinn zu prüfen, ob unsere bisherige Art, zu kommunizieren, noch anschlussfähig ist. Unser gesamtes System und Miteinander, unsere Bedürfnisse und Handlungsoptionen haben sich verändert. Haben wir unsere Kommunikation dahin gehend überprüft und angepasst?
Jede Kommunikation hat aber auch einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Niklas Luhmann beschreibt den Begriff Kommunikation in der soziologischen Systemtheorie als eine Operation, die soziale Systeme erzeugt und erhält. In deutlicher Abgrenzung zu dem, was wir heute gemeinhin unter Kommunikation verstehen: gemeinschaftlichem Handeln und Kommunikation als Informationsübertragung.
Es ist also wichtig, die Kommunikation in diesen Zeiten noch mehr in den Fokus zu stellen.
Und es ist spannend und sicher sinnvoll für Unternehmen, jetzt näher hinzuschauen, welche Chancen die veränderte Kommunikation bietet.
Information & Austausch
Unabhängig davon, wie herausfordernd oder belastend die Situation ist – wenn Menschen informiert sind und sich mitteilen und austauschen können, sind sie in der Lage, deutlich mehr auszuhalten, sind gesunder, resilienter, innovativer und dem Unternehmen tiefer und länger verbunden.
Empathie & aktives Zuhören
Wenn wir uns, wie derzeit gelebt, nicht mit allen Sinnen begegnen können, entgehen uns eine Menge Informationen. Diese fehlenden Informationen können wir ein Stück weit ausgleichen durch Empathie (Was fühlt und braucht mein Gegenüber gerade?), Klarheit (Was ist die Essenz?), aktives Zuhören (Habe ich Dich richtig verstanden, dass…?).
Zusammengehörigkeit & Solidarität
Je mehr wir das Gefühl spüren, dass wir nicht allein sind in der Krise, dass uns geholfen wird, wir auch unterstützt werden, wenn es uns nicht gutgeht oder wir mal nicht gut performen, umso besser kommen wir durch diese Zeit. Das gilt ebenso für Teams und Führungskräfte. Unterstützung, Zusammengehörigkeit und Solidarität zählen gerade doppelt.
Respekt & Wertschätzung
Menschen geht es dann gut, wenn sie sich angenommen fühlen. In ihrer Individualität aber auch Verletzbarkeit. Jede/r geht mit der aktuellen Situation anders um. Und auch mit Ängsten. Akzeptieren wir unsere Unterschiedlichkeit als etwas, dass die Anzahl der Sichtweisen erhöht und uns erfolgreicher macht.
Einige wesentliche Fragen in Bezug auf die aktuellen Veränderungen und eine mögliche daraus resultierende Kommunikation habe ich hier mal zusammengefasst:
- Wer braucht in dieser Situation welche Informationen, um gut, selbstfürsorglich und effektiv arbeiten zu können?
- Welche Veränderungen nehmen wir wahr? Wer ist betroffen? Mit wem sollten wir kommunizieren?
- Was bedeuten die Veränderungen in der Praxis und für die Zukunft unseres Unternehmens? Wen sollten wir dazu befragen?
- Welche Möglichkeiten und Dringlichkeiten für eine Neuaufstellung von Prozessen, Arbeitsabläufen und Gewohnheiten sehen wir und wer sollte beteiligt werden?
- Welche Steuerungs- und Monitoring-Maßnahmen können erforderlich sein? Wer sollte diese mitentwickeln, wie sollte darüber informiert werden?
- Welche angemessenen Maßnahmen, Informationen und Informationswege brauchen Mitarbeitende sowie Kund*innen sowie weitere Interessensgruppen, um sich sicher zu fühlen?
Viele Menschen, mit denen ich gerade im Austausch bin, sind unsicher, was gerade richtig ist. Niemand kann diese Frage allgemein gültig beantworten.Das macht es nicht leichter – ist aber auch das Gute daran. Denn es gibt kein RICHTIG oder FALSCH. Wer Entscheidungen trifft, macht auch Fehler. Weil man hinterher vielleicht mehr Wissen hat. Meist weiß man aber nicht, ob die getroffene Entscheidung die bessere war. Aber eine Entscheidung heißt immer, es geht weiter, es bewegt sich was, es kann darauf aufgebaut werden. Und wir können gemeinsam – im Austausch – unsere Wahrheiten finden.
Ich möchte ermutigen, zu kommunizieren, zu diskutieren, zu hinterfragen, zu entscheiden, zu revidieren, im Austausch zu bleiben und neu in Verbdingung zu kommen.
Heinz von Foersters ethischen Imperativ finde ich als Abschluss sehr aktuell und wichtig: „Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen.“
…und behalte die Zuversicht.
Text:
Jana Jablonski (04.05.2020)