Gründen 2022 in Deutschland

“Die Deutschen haben ein überraschend positives Bild vom Unternehmertum und den Menschen, die es ausüben”, schreibt der Berliner Tagesspiegel und veröffentlicht eine Umfrage der Quirin Privatbank, die 2700 Bundesbürger:innen zu ihrer Sicht aufs Gründen und Führen von Firmen hat befragen lassen. Wir wollen es genauer wissen und zwar von einem, der mit der Materie bestens vertraut ist: Dr. Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) e.V.

Herr Dr. Lutz, teilen Sie die Ansicht, dass das Bild von Gründer*innen und Selbstständigen in der Öffentlichkeit und der Politik ein durchweg positives ist?

Wir glauben, dass es bei der FDP und den Grünen eine andere Einstellung zum Thema Selbstständigkeit gibt, als bei der ehemaligen großen Koalition. Das ist positiv, trotzdem sehe ich momentan, dass viele eine Selbstständigkeit immer noch mit Prekarität oder auf der anderen Seite mit “gigantischem Verdienst” gleichsetzen. Die Tatsache, dass es zwischen diesen Polen viele Menschen einer Arbeit nachgehen, vielleicht sogar Arbeitsplätze schaffen und dass das insgesamt viel Mut erfordert, sich dieser Verantwortung zu stellen, wird seltener gesehen. Ich würde mir mehr Respekt für Gründer*innen und Selbstständige wünschen. Denn auch jene, die scheitern, sagen rückblickend, dass das Gründen eine gute Entscheidung war, dass sie unglaublich viel gelernt haben, auch in Bezug auf Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit. Und das sind doch Punkte, die in einer Demokratie enorm wichtig sind. Übrigens ist in allen Parteien der Anteil der Selbstständigen überproportional hoch.

Dann wäre es doch gut, genau die anzusprechen, wenn es um die Belange von Selbstständigen geht, oder?

Ja, das ist auch unsere Strategie. Wir mussten leider im Laufe der Jahre feststellen, das Politiker*innen sich nicht immer an ihre Versprechen halten. Darum haken wir nach oder bringen Petitionen auf den Weg. Das hat dann deutlich mehr Schlagkraft.

Welche staatlichen Anreize wären aus Ihrer Sicht generell notwendig, um das Gründen in Deutschland attraktiver zu machen?

Im Zuge der Corona-Hilfen gab es ja ziemlich großes Chaos, was leider auch zu Klagen gegen Selbstständige geführt hat, die nach Auffassung des Staates nicht bezugsberechtigt gewesen wären. Ein wichtiger Schritt diesbezüglich wäre, sich Fehler bei Coronahilfen in Bezug auf Soloselbstsändige und Gründer einzugestehen. Gleichzeitig könnte ein Neubeginn erklärt werden, um das Hilfenregime zu einem halbwegs gutem Ende zu bringen (z.B. durch großzügige Abwicklung der Soforthilfe wie in Bayern, Verzicht auf Großteil der 20.000 (ungerechtfertigten) Klagen usw).
Darüber hinaus ist es Zeit für eine neue Gründungsförderung, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen, aber noch nicht konkretisiert ist. Diesbezüglich haben wir ganz klare Ziele:
Einen Rechtsanspruch auf Gründungszuschuss, andere Hilfe, von der auch Nicht-Arbeitslose profitieren, aber keine Einschränkung auf immer kleinere Teilgruppen, weil dadurch immer weniger erreicht werden und der bürokratische Aufwand immer größer wird.
Und dann brauchen wir dringend eine echte Entbürokratisierung und eine Reform bei der GKV (Mindestbemessungsgrenze, Bemessungsgrundlage). Die Liste ist also lang.

Der Verband hat im Zuge der Vorbereitung auf sein 10-jähriges Bestehen Mitglieder befragt, was sie motiviert trotz der Corona-Krise und der damit verbundenen Schwierigkeiten an der Selbstständigkeit festzuhalten. Können Sie ein paar Gründe nennen?

Ja, das war toll. Dem Aufruf, ihre Geschichte zu erzählen, sind fast 100 Mitglieder gefolgt, die 50 besten Geschichten haben wir unter https://www.vgsd.de/beitraege/warum-bist-du-selbststaendig  veröffentlicht. Zusammengefasst kann man sagen, dass gerade Soloselbstständige ihre Arbeit wirklich lieben. Sie erleben ihre Arbeit als Glück und wollen sie, ihren eigenen Qualitätsvorstellungen entsprechend, für ihre Kunden erledigen. Wichtig ist ihnen auch, dass sie keine politischen Spielchen spielen wollen, wie es sie leider in vielen Unternehmen gibt. Andere Gründe sind, dass Selbstständige keine Vorgaben von Vorgesetzten wollen, die dazu führen, dass sie ihre Arbeit nicht so gut machen dürfen, wie sie es könnten. Den eigenen kreativen Ideen zu folgen, ist ein wichtiger Punkt. Oder eigenverantwortliche Fortbildung und nicht in Bürokratie zu ersticken.

Auf der anderen Seite ist es für Gründer*innen oft schwierig, an Kredite oder Förderungen zu kommen. Was müsste sich da ändern?

Die Bankfinanzierungen kranken daran, dass der bürokratische Aufwand für die Kreditvergabe an Unternehmen immens hoch ist, so werden Kredite um so unwirtschaftlicher und teurer, je kleiner der Kreditbedarf ist. In Deutschland ist es viel, viel einfacher, einen Kredit für eine neue Küche für das eigene Heim zu bekommen als für eine, mit der man einen Partyservice (effektiver) betreiben möchte, oder für eine Bügelstation, mit der man die Produktivität als Unternehmer/in in diesem Bereich erhöhen kann.
Diesen Prüf- und Nachweisaufwand zu reduzieren oder vielleicht einfach vorzuschreiben, Unternehmen bei Kleinkrediten bis zu einer gewissen Höhe wie Verbraucher zu behandeln, würde bei Banken und Fintech-Startups sicher viel Kreativität freisetzen für neue Angebote.
“Staatliche Töpfe” und “unbürokratisch” schließt sich ja leider – zumindest nach meiner Erfahrung – gegenseitig aus, auch fehlt es dem Staat oft an Weitblick und Kontinuität. Vor einigen Jahren gab es zum Beispiel ein staatlich mit privaten Mikrofinanzinstituten (MFI) aufgebautes Angebot für Kleinstkredite, das äußerst erfolgreich anlief. Im Laufe der Jahre wurden allerdings die Bedingungen seitens des zuständigen Ministeriums so oft geändert (und zwar verschlechtert), bis die MFI keine Lust mehr hatten und eines nach dem anderen ausstieg. Das Einrichten neuer Töpfe genügt also nicht. Was es braucht, ist ein neues, nachhaltigeres und wirtschaftsfreundlicheres Denken auf staatlicher Seite. Die Ampel hat sich das vorgenommen. Von daher bin ich gespannt und wir arbeiten als Verband sehr gerne mit, wirklich zukunftsträchtige Angebote aus der Taufe zu heben.

Der Verband feiert in diesem Jahr sein 10-jähriges Jubiläum. Auf Ihrer Plattform haben Sie angekündigt, die Gründungsphilosophie/das Leitbild zu überprüfen. Verraten Sie uns einen Punkt, der sich aus der Erfahrung heraus ändern wird oder schon geändert hat und einen, der bleibt?

Neben der Überprüfung des Leitbilds planen wir natürlich noch viele andere Aktivitäten, z.B. Feiern in den Regionagruppen und eine zentrale Veranstaltung im Sommer in Frankfurt in Form eines Barcamps sowie einer großen Party und natürlich ganz vielen Aktivitäten und Beiträgen auf unserer Website.

Was das Leitbild betrifft, erarbeiten wir in einem kleinen Team Vorschläge zur Änderung, werden diese dann den Mitgliedern auf der Website vorstellen und ihr Feedback einholen, um dann wiederum mit allen am Thema interessierten Vereinsmitgliedern zu einer Entscheidung zu kommen. Dem wollen wir hier nicht vorgreifen, bevor wir überhaupt unsere Vereinsmitglieder informiert haben, deshalb bitte ich bezüglich der Änderungen noch um ein wenig Geduld.

Das klingt nach einer schönen Gemeinschaftsarbeit.

Ja, auf jeden Fall. Dieses Miteinander zeichnet uns ja aus. Abgesehen davon haben die neun Sätze unter https://www.vgsd.de/leitbild/ uns in den letzten fünf Jahre schon sehr geholfen, um auf der Basis gemeinsamer Werte voran zu gehen. So wollen wir z.B. der attraktivste Ort für Selbstständige sein, die sich wirkungsvoll engagieren wollen und wir kooperieren gezielt mit anderen Verbänden und Initiativen, um unsere gemeinsamen Anliegen zu verwirklichen. Unsere Mitarbeiterin Vera Dietrich hat mit ihrem erfolgreichen Engagement gegen Abmahnmissbrauch und für eine faire Behandlung von Selbstständigen beim Kinderkrankengeld den erstgenannten Leitbildsatz mit Leben gefüllt, um ein Beispiel zu nennen. Eins für den zweiten Leitsatz ist die Gründung und die enorm erfolgreiche Zusammenarbeit innerhalb der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV).

Zum Abschluss noch eine ganz persönliche Frage. Sie haben den Verband vor zehn Jahren gegründet. Wie schauen Sie auf diese Jahre zurück? Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie aufgebaut haben?

Ja, das bin ich. Auch wenn wir längst noch nicht alles von dem erreicht haben, was wir uns als politische Ziele gesteckt haben. Die Arbeit geht uns also bestimmt nicht so schnell aus. Wir sind innerhalb von zehn Jahren auf mehr als 6.000 Vereinsmitglieder gewachsen und arbeiten als kleines, hocheffektives Team mit unseren Mitgliedern und mit anderen Verbänden zusammen, um die Anliegen der Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen voranzubringen. Dadurch haben wir wichtige politische Erfolge erzielt. Wichtig ist mir dabei, den Verband nachhaltig aufzustellen, so dass er auch ohne mich gut funktionieren kann. Dieses Ziel sollte ja jeder Unternehmer haben.