Laut einer Umfrage von GULP und VGSD erwägen 48 Prozent der selbstständigen IT-Experten, aufgrund schlechter Rahmenbedingungen Deutschland den Rücken zu kehren. Hintergrund ist eine Gesetzesänderung vom April 2017, deren restriktive Auslegung durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) den Status der IT-Experten als Selbstständige in Frage stellt und bei einer Einordnung als Scheinselbstständige die Auftraggeber mit hohen Strafen belegt.
Die Auftraggeber kündigen deshalb den deutschen Experten in großer Zahl die Auftragsverhältnisse: 59 Prozent der Befragten haben mindestens einen Auftrag verloren, 26 Prozent von ihnen sogar die Auflösung ganzer Projekte und Organisationseinheiten in Deutschland erlebt. Gegenüber einer VGSD-Umfrage aus dem Jahr 2016, als 21 Prozent über Auftragsverluste berichteten, hat sich die Zahl der Betroffenen verdreifacht.
Auf die Frage, was mit den Projekten bzw. Aufträgen passiert sei, die aufgrund der unklaren Rechtslage nicht mehr mit Selbstständigen in Deutschland weitergeführt werden, gab die Hälfte an, dass diese (am deutschen Standort des Auftraggebers) eingefroren oder beendet wurden. Ebenfalls in der Hälfte der Fälle wurden die Aufträge und Projekte an (größere) externe Dienstleister vergeben.
27 Prozent der gekündigten Aufträge bzw. Projekte wurden ins Ausland vergeben. Wo ganze Projekte und Organisationseinheiten vom Auftraggeber beendet/aufgelöst wurden, fand sogar in 38 Prozent der Fälle eine Verlagerung ins Ausland statt.
Große Rechtsunsicherheit
Dies sind die besorgniserregenden Ergebnisse einer Studie des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) und des Personaldienstleisters GULP, an der 1.940 VGSD-Mitglieder und GULP-Nutzer aus den Bereichen IT und Engineering teilgenommen haben.
Dr. Andreas Lutz, der Vorstandsvorsitzende des VGSD, bringt es so auf den Punkt: „Die Große Koalition hat durch ihre Gesetzgebung für große Rechtsunsicherheit bei Selbstständigen und ihren Auftraggebern gesorgt. Die wirtschaftlichen Konsequenzen werden jetzt sichtbar: Große Unternehmen müssen ihre innovativen Projekte ins Ausland verlagern, um sie rechtssicher durchführen zu können. Fast die Hälfte der IT-Selbstständigen erwägt, das Land zu verlassen. Die Große Koalition muss dringend handeln, um weiteren Schaden von Deutschland abzuwenden.“
Konkrete Ergebnisse der Umfrage
Die Frage nach den Folgen der Rechtsunsicherheit wühlt die IT-Selbstständigen auf. In mehr als 250 Kommentaren gaben sie viele Beispiele dafür, dass der Versuch, Projekte auf angestellte Mitarbeiter zu übertragen, die idR. ohnehin schon überlastet sind, regelmäßig zu Verzögerungen und zum Scheitern von Projekten führt.
Auch der häufig gewählte Versuch, die Selbstständigen durch Zeitarbeiter zu ersetzen, wird kritisch bewertet, weil Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) deutlich schlechter bezahlt wird und hochqualifizierte Experten nicht bereit sind, in ANÜ tätig zu werden. Eigentlich wollte der Gesetzgeber die Zeitarbeit mit der Gesetzesänderung einschränken, tatsächlich bewirkt hat er aber das Gegenteil – zu Lasten bisher gut bezahlter Selbstständigkeit.
Angesichts der Verlagerung innovativer Projekte ins Ausland und der drohenden Abwanderung der ohnehin knappen IT-Fachkräfte bewerten lediglich 1 Prozent der Befragten die Entwicklung als positiv. 80 Prozent dagegen sehen negative oder sehr negative Auswirkungen auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
Unter denen, die bereits selbst die Einstellung eines Projekts in Deutschland miterlebt haben, bewerten sogar 95 Prozent die Aussichten für den Standort Deutschland als (sehr) negativ.
Von dieser Gruppe von Betroffenen erwägen 63 Prozent (alle Befragte: 48 Prozent), im Ausland tätig zu werden. 8 (6) Prozent von ihnen haben sich dazu bereits fest entschieden, 10 (7) Prozent planen diesen Schritt in den nächsten Jahren. Der Rest (45 bzw. 35 Prozent) sieht die Auswanderung als Option, wenn sich die Situation in Deutschland weiter verschlechtert.
Selbst von den 37 (52) Prozent, die eine Auswanderung bisher nicht in Erwägung ziehen, kennen 11 (10) Prozent Kollegen, die einen Umzug ins Ausland planen. Zudem stehen sie mit dem Verbleib in Deutschland nicht zwangsläufig dem deutschen, mit IT-Kräften unterversorgten, Arbeitsmarkt zur Verfügung: 2016 hatten in einer GULP-Umfrage 17 Prozent der Befragten geantwortet, sie würden sich (vorzeitig) in den Ruhestand verabschieden, wenn sie nicht mehr selbstständig arbeiten dürften.
„Diese Zahlen sind alarmierend, denn in der Praxis sind Solo-Selbstständige und Freelancer als Projektunterstützung äußerst gefragt”, berichtet Michael Moser, Vorsitzender der Geschäftsführung bei GULP. „Sie bringen bei Projekten schnell und flexibel viel und tiefgehendes Know-how in die Unternehmen und sind so eine wichtige Stütze der Digitalisierung. Umso gravierender ist es, wenn diese wertvollen Wissensarbeiter ins Ausland abwandern.”