Ein Blick hinter die Kulissen – Anne im Interview

Ich freue mich, euch heute einen Einblick in die Arbeit unserer Kollegin Anne zu geben. Als Coachin und Trainerin steht sie für eine besondere Verbindung von Sprache, Körperbewusstsein und innerer Klarheit – und bringt damit genau das mit, was unseren ganzheitlichen Ansatz ausmacht.
Im Interview erzählt sie von ihrem Weg, ihrem Verständnis von guter Begleitung und davon, wie sie verschiedene Tätigkeiten sinnvoll miteinander verbindet. Besonders ans Herz legen möchte ich euch ihr aktuelles Format „Vom Kopf in den Körper“.

Liebe Anne, Du bewegst dich beruflich zwischen Sprache und Körper, zwischen Storytelling und Bouldern. Wie kam es zu dieser Kombination – und was verbindet diese scheinbar gegensätzlichen Felder für dich?

Auf den ersten Blick wirken Storytelling und Bouldern wahrscheinlich wie zwei verschiedene Welten – aber für mich gehen sie ganz natürlich zusammen.
Ich betreibe den Sport inzwischen schon seit über 8 Jahren, seit zwei Jahren auch als Trainerin. Was mich daran so fasziniert: Es bringt mich vom Kopf in den Körper. Nach einem Tag voller Worte, Strategien und Geschichten ist die Wand mein Ausgleich. Da zählt nur der Moment, der nächste Griff, die Atmung und die Bewegung nach oben.
Bei der Arbeit mit Storytelling stelle ich immer wieder fest, welche Macht Worte und Geschichte haben. Sie wirken nicht nur in unserem Geist, sondern auch auf unseren Körper, das spüren wir jeden Tag – ein Satz trifft uns mitten ins Herz, rührt uns zu Tränen oder schlägt uns auf den Magen.
Beides – Sprache und Bewegung – sind für mich Ausdruck und Verarbeitung. Storytelling bewegt von innen, Bouldern von außen. Und in meinem Angebot „Bouldern gegen Stress – vom Kopf in den Körper“ verbinde ich beides: achtsames Klettern mit Impulsen aus der Achtsamkeit, Körperarbeit und dem bewussten Umgang mit Gedanken und Gefühlen, also den vielen Geschichten, die wir uns Tag ein Tag aus über uns selbst erzählen.

Achtsamkeit – durch wertfreies Beobachten schaffen wir einen Raum zwischen Reiz und Reaktion

Was lernt man über sich selbst, wenn man einen Text schreibt – und was, wenn man an einer Boulderwand steht?

Beim Schreiben wie beim Bouldern begegnen wir uns selbst aber auf ganz unterschiedliche Weise.
Wenn wir schreiben, tauchen wir tief in unsere Gedankenwelt ein. Wir ordnen, benennen, verstehen. Wir bringen unser Innerstes nach außen aufs Papier. Können es uns dort anschauen und mit einer gewissen Distanz neu entscheiden, wie wir mit dem umgehen möchten, was in uns vorgeht. Das ist Achtsamkeit – durch wertfreies Beobachten schaffen wir einen Raum zwischen Reiz und Reaktion.
An der Boulderwand hingegen ist es der Körper, der unseren inneren Dialog ganz unmittelbar nach außen bringt. Zum Beispiel, wenn ich denke, dass ich nicht genug Kraft habe oder aus Angst vorm Fallen festhalte, obwohl Loslassen der Weg nach oben wäre. Wenn ich hingegen dranbleibe, es immer wieder probiere, nach einem Weg suche, der für mich funktioniert, beginne ich meinem Körper und seiner Lernfähigkeit zu vertrauen. Das lässt sich ganz wunderbar aufs Leben übertragen.
In beiden Situationen zeigt sich, wie ich mit mir selbst umgehe: geduldig oder streng, neugierig oder kontrollierend, mutig oder zweifelnd. Es sind Wege, sich selbst besser kennenzulernen. Mal mit dem Stift in der Hand, mal mit dem Körper an der Wand.

In deinen Formaten ist Präsenz ein zentrales Thema – sei es in der eigenen Geschichte oder im Moment an der Wand. Was bedeutet Präsenz für dich?

Präsenz bedeutet für mich, wirklich da zu sein – hier und jetzt, mit voller Aufmerksamkeit. Nicht in Gedanken schon drei Schritte weiter beim übernächsten Satz oder am Ende der Kletterroute.
Auch hier kommt die Achtsamkeit wieder zum Tragen. Wenn ich in meinem Kopf die Route schon versemmelt habe, die Geschichte schon geschrieben ist, nehme ich mir die Chance auf dem Weg dahin neue Erfahrungen zu machen und etwas über mich selbst zu lernen.
Wenn ich beim Bouldern auf vier Meter Höhe ohne Sicherung an meine To-do-Listen denke, wird es gefährlich. Hier muss ich im Moment sein und mich auf den nächsten Zug konzentrieren. Mein Körper fordert meine volle Präsenz. Hier entscheide ich unmittelbar über Vertrauen oder Angst und erfahre sofort die Konsequenz dieser Entscheidung.
Auch in der Arbeit mit Geschichten ist Präsenz entscheidend. Gutes Storytelling zeichnet sich dadurch aus, dass die Geschichten etwas auslösen, dass sie berühren. Um die Essenz einer guten Geschichte zu finden, muss ich zuhören, präsent sein, die Emotionen jenseits der Worte aufspüren und zu Papier bringen. Nur so kann ich Geschichten erzählen, die authentisch sind und verbinden.

Wie verändert sich eine Geschichte, wenn man sie nicht nur denkt und schreibt, sondern auch körperlich erlebt oder durch Bewegung reflektiert?

Im Kopf können wir Dinge oft richtig gut erklären, analysieren und einordnen. Aber erst unser Körper bringt die dazugehörigen Emotionen mit ein. Wir spüren körperlich, wenn uns eine Geschichte berührt – Gänsehaut, der Kloß im Hals, Tränen in den Augen. Das sind Signale, die zeigen: Hier steckt etwas Echtes.
Ein Lebenslauf beispielsweise entsteht im Kopf, die eigene Geschichte hingegen kommt aus dem Bauch. Deshalb bitte ich meine Kund:innen, die erste Version ihrer Geschichte – sei es für die Website oder eine Bewerbung – aus dem Bauch heraus zu schreiben. Bewegung kann dabei helfen, weil sie uns aus dem Kopf holt. Wir kommen vom Denken ins Erleben.
Vor allem wenn wir feststecken oder eine Schreibblockade haben, ist Bewegung eines der besten Tools, um dem entgegenzuwirken. Durch die Bewegung können wir unsere kreisenden Gedanken loslassen und Raum schaffen für neue Perspektiven. Und wenn es dabei hoch hinaus geht – wie beim Bouldern – ist der Blick auf die Welt auf einmal ein ganz anderer 😉

Woran merkst du, dass Menschen in deinen Kursen (ob mit Text oder mit Bewegung) Zugang zu etwas Echtem finden – zu einer authentischen Ausdrucksform?

Ich merke es vor allem an den Emotionen, die sich zeigen. Wenn ich mit meinen Kund:innen in den Storytelling-Beratungen auf den Kern ihrer Geschichte stoße, berührt das viele von ihnen sehr tief. Nicht selten kommen ihnen Tränen, und das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Klarheit und Erleichterung. Es ist der Moment, in dem sie endlich die passenden Worte für das gefunden haben, was sie mit ihrer Arbeit wirklich bewegen wollen.
Das gleiche erlebe ich bei meiner Arbeit in der Boulderhalle: Wenn jemand an der Wand seine Ängste überwindet, die Route schafft und plötzlich über beide Ohren strahlt. Da entsteht ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und der Glaube an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten wächst sichtbar von Griff zu Griff.

Wie beeinflussen deine Erfahrungen in der Arbeit mit Gruppen deine Herangehensweise an Textprozesse und Storyarbeit – oder umgekehrt?

In beiden Feldern geht es für mich als Trainerin und Beraterin nie darum, meinen Kund:innen eine Technik überzustülpen oder ein starres System durchzuziehen.
Jede:r bringt seine eigene Geschichte mit, sein eigenes Tempo, seine eigene mentale und körperliche Konstitution. Methoden und Techniken können unterstützen, Orientierung und Sicherheit geben – aber alle dürfen ihren Weg selbst finden. Ob an der Boulderwand oder beim Schreiben: Am Ende zählt das Gefühl, das man selbst dazu hat.
In meinen Kursgruppen spüre ich das besonders deutlich. Ich stelle Werkzeug, Technik und Struktur bereit, aber ich zwinge niemanden in eine Form. Ich begleite, motiviere und beobachte. Ich erinnere daran, dass es nicht die eine richtige Geschichte gibt oder den einen Weg nach oben und vor allem, dass man diese nicht auf Anhieb finden muss. Ich ermutige zum try and error und weise darauf hin, sich nicht zu überfordern, denn sowohl Kopf als auch Körper wachsen durch Regeneration – in der Ruhe.

Was fasziniert dich an Gruppenprozessen – und wie gestaltest du Räume, in denen sich Menschen zeigen, ausprobieren und auch scheitern dürfen?

Mich fasziniert vor allem die Dynamik, die eine Gruppe sehr unmittelbar entwickeln kann – wenn man ihr den Raum dafür gibt.
Als Trainerin habe ich schnell gelernt, auf die Regulationsfähigkeit der Gruppe zu vertrauen. Die Teilnehmenden motivieren sich gegenseitig, inspirieren sich durch ihre Erfahrungen und halten sich emotional den Rücken frei. Ich muss viel weniger tun oder erklären, als ich anfangs dachte.
Meine Aufgabe ist es, den Raum zu halten – wie ein sicherer Rahmen, in dem sich jede:r ausprobieren darf. Ich beobachte, justiere manchmal sanft die Richtung, wenn es nötig ist, aber ich greife nur selten direkt ein. Denn was wir selbst erfahren, verankert sich viel tiefer als alles, was uns in der Theorie erklärt wird.

VOM KOPF IN DEN KÖRPER

Wenn du an unsere gemeinsame Arbeit im Bereich berufliche Veränderung denkst: Welche Impulse aus deinen anderen Arbeitsfeldern könnten dort vielleicht (noch) stärker wirken?

Ich finde es enorm wichtig, beides mitzudenken: Den Kopf und den Körper.
Gerade wenn es um große Schritte geht, wie eine berufliche Neuorientierung oder den Schritt in die Selbstständigkeit, ist man sehr viel im Kopf: Wie präsentiere ich mich richtig? Wirke ich professionell? Das kann enormen Druck erzeugen, der viele regelrecht lähmt, weil sie nichts falsch machen wollen.
Aus meiner Arbeit mit Bewegung und Achtsamkeit weiß ich: Es braucht Momente, in denen wir aus dem Grübeln ins Spüren kommen. In denen wir die Gedanken nur beobachten und nicht unser Handeln lenken lassen. Und in denen wir unsere Aufmerksamkeit gezielt auf unseren Körper lenken: Wo fühle ich die Angst oder den Druck? Wo ist mein Körper angespannt oder entspannt? Wie verändert sich meine Atmung, wenn ich sie beobachte – ändert sich dadurch vielleicht auch mein Gefühl?
Oft entstehen die klarsten Impulse nicht am Schreibtisch, sondern beim Sport oder auch bei sehr monotonen Beschäftigungen, wie beim Spülen oder der Gartenarbeit. Deshalb empfehle ich, bei all der Kopfarbeit, die zu tun ist, den Körper nicht außer Acht zu lassen.

Was würdest du jemandem raten, der seine eigene Geschichte nicht nur aufschreiben, sondern auch spüren und verkörpern möchte?

Wenn du deine eigene Geschichte nicht nur aufschreiben, sondern wirklich verkörpern möchtest, dann rate ich, die Geschichte auf zwei verschiedenen Ebenen entstehen zu lassen:
Die Körper-Ebene: Welches Gefühl möchtest du bei deinen Leser:innen auslösen? Möchtest du ermutigen, zum Nachdenken anregen, wachrütteln etc. Dieses Gefühl gibt dir häufig bereits den roten Faden deiner Geschichte vor. Jetzt kannst du einmal nachspüren, welcher Teil deiner Geschichte, dieses Gefühl auch in dir auslöst. Das ist in der Regel auch der Teil, der erzählt werden will. Das erfordert ein wenig Mut, denn manchmal sind es gerade die ehrlichen, verletzlichen Momente, die am stärksten berühren.
Die Kopf-Ebene: Teste deine Geschichte und ihren emotionalen Impact. Schreibe und veröffentliche sie nicht nur still für dich, sondern sprich sie laut aus, zeige sie anderen Menschen, die zu deiner Zielgruppe passen. Beobachte, wie sie reagieren – welche Worte, welche Gefühle bei ihnen lebendig werden lassen.
Kurz gesagt: Eine gute, authentische Geschichte entsteht dort, wo Körper und Kopf zusammenkommen— wo Worte nicht nur verstanden, sondern auch unmittelbar gespürt werden.

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Anmeldung „Bouldern gegen Stress“

Danke, Anne, für das Interview!
Julia